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Stammzellen: Ist die Heilung von AIDS mit den Wunderzellen möglich?

Am 01. Dezember ist Welt-AIDS-Tag.

Der Welt-AIDS-Tag soll die Öffentlichkeit für das Krankheitsbild AIDS und die HIV-Infektion sensibilisieren. Es gibt diesen Aktionstag bereits seit 1988. Er wird von UNAIDS, einem gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen, organisiert und jedes Jahr unter ein besonderes Motto gestellt. 2016 lautet dies „Hands up for HIVprevention“. Die Kampagne in Deutschland steht in diesem Jahr unter der Devise „positiv zusammen leben“.

Obwohl bereits große Fortschritte gemacht wurden, darf im Kampf gegen AIDS nicht nachgelassen werden. Noch immer ist Aufklärung wichtig. Nur Vorbeugung wie „Safer Sex“ verhindert Infektionen. Betroffene brauchen aber nicht nur Behandlung, sondern auch konkrete Hilfe – beispielsweise die Möglichkeiten des Austauschs mit anderen Betroffenen, Seelsorgern oder Helfern. Da viele HIV-Patienten aus Angst vor Diskriminierung sich nicht einmal der eigenen Familie und Freunden anvertrauen, sind Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen enorm wichtig.

Was ist AIDS?

Bei AIDS (Acquired immunodeficiency syndrome, englisch für „erworbenes Immundefektsyndrom“) handelt es sich um eine Pandemie, die seit Anfang der 80er-Jahre auf allen Kontinenten wütet. Auslöser dafür ist das Humane Immundefizienz-Virus (kurz HIV). Dabei handelt es sich um ein Retrovirus, das eine bestimmte Unterart der weißen Blutkörperchen, die T-Helferzellen, befällt. Der Körper ist dann nicht mehr in der Lage, bei Infektionen die richtige Immunantwort zu liefern. Im Vollbild AIDS bricht das Immunsystem komplett zusammen und öffnet damit beispielsweise dem Herpes- und dem Cytomegalie-Virus, der Candidose (eine Pilzinfektion), Pneumonien (Lungenentzündung), der Tuberkulose, Lymphomen oder dem Karposi-Sarkom Tür und Tor.

Effektiver Schutz vor AIDS: Wissen über Ansteckungswege

Die Übertragung des HI-Virus erfolgt über Körperflüssigkeiten wie Blut, Sperma oder Vaginalsekret. In sehr seltenen Fällen ist auch eine Ansteckung durch Muttermilch möglich. HIV wird allerdings weder über Insektenstiche noch über Speichel oder Tränen übertragen. Nach wie vor infizieren sich die meisten Menschen durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder die gemeinsame Benutzung von Drogenbestecken.

Heute gibt es hohe Sicherheitsstandards bei Organtransplantationen und Blutspenden. Das Risiko, sich durch Spenderorgane oder Blutprodukte mit HIV anzustecken, tendiert gegen Null.

Mitte der 90er-Jahre führte der sogenannte Bluterskandal zu genauesten Kontrollen bei Organtransplantationen und Blutspenden. Damals wurde bekannt, dass in den 80er-Jahren kontaminierte Blutpräparate wie Blutkonserven das HI-Virus auf mehrere hundert Menschen übertrugen. Daraufhin wurden und werden noch immer alle Blutspender im Vorfeld kontrolliert. Risikogruppen sind von der Blutspende ausgeschlossen. Mittlerweile ist die Gefahr, sich mit HIV durch ein Blutpräparat oder eine Organtransplantation anzustecken, verschwindend gering.

Während die HIV-Diagnose früher unweigerlich einem Todesurteil gleich kam, ist AIDS heute dank der Antiretroviralen Therapie (HAART) zu einer Art chronischer Krankheit geworden. Lebenslang eingenommen unterdrückt die Therapie das Virus. Die Zahl der funktionsfähigen T-Helferzellen nimmt wieder zu. Das Immunsystem kann korrekt arbeiten. Allerdings hat die HAART-Therapie schwere Nebenwirkungen wie die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Tumoren. Werden die Medikamente abgesetzt, ist die Krankheit HIV/AIDS schnell zurück, weil es noch immer nicht gelingt, das Virus aus dem Körper komplett zu eliminieren.

AIDS: Eine Pandemie mit Folgen

Patienten benötigen Glück – sowohl beim Wohnort als auch der gelebten Gesellschaftsform. Glück haben all jene Menschen in der sogenannten Ersten Welt, die in einer aufgeklärten und sozialen Gemeinschaft leben. Sie haben Zugang zur antiretroviralen Therapie. Doch in der Dritten Welt oder in Krisengebieten stehen nicht allen Menschen die lebenswichtigen Medikamente zur Verfügung. Weniger als die Hälfte der Infizierten bekommt die dringend benötigten AIDS-Medikamente und hat so die Chance auf ein halbwegs normales Leben.

Weltweit leben derzeit geschätzte 37,1 Millionen Menschen mit dem Virus. Davon stammen rund 85.000 Männer und Frauen aus Deutschland. Jedes Jahr kommen hier rund 3.000 Neuinfektionen hinzu. Auf dem gesamten Globus wird jährlich 2,1 Millionen Mal die Diagnose HIV neu gestellt. Besonders tragisch: 240.000 Kinder sind unter den Neuinfizierten. 70 Prozent aller Neuinfektionen passieren in Afrika südlich der Sahara. Allein in Südafrika ist fast jeder Fünfte ein Träger des HI-Virus. Das sind 6,8 Millionen Menschen. In ganz Afrika hat die Krankheit bis heute 12 Millionen Kinder zu Waisen gemacht.

Noch immer sind AIDS und HIV mit Stigmata und Ausgrenzung behaftet, sodass die Menschen nicht nur mit der Krankheit kämpfen und ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, sondern auch Diskriminierung und Ablehnung ausgesetzt sind.

Der Kampf gegen HIV

Im Kampf gegen HIV ist es wichtig, das Vorgehen des Virus bis ins kleinste Detail zu verstehen und seine Ursprünge zu kennen. Dies gleicht teilweise einer Detektivarbeit, da sich HIV immer wieder verändert und anpasst. Experten vermuten, dass ursprünglich Schimpansen in Kamerun die Wirtstiere waren. Sie können an einem engen Verwandten, dem SI-Virus (= Simiane Immundefizienz-Virus), erkranken. In der Region rund um Kamerun und seinen Nachbarländern sprang das Virus auf den Menschen über – vermutlich nicht nur einmal, sondern mehrmals. Die erste menschliche Blutprobe, in der das HI-Virus nachgewiesen werden konnte, stammte aus dem Jahr 1959 und wurde einem Mann im Kongo entnommen. Erst kürzlich konnte eine Studie nachvollziehen, wie sich das AIDS-Virus in den USA ausbreitete. Selbst für Experten waren einige Überraschungen unter den Ergebnissen. Bislang datierte man den Krankheitsausbruch auf Anfang der 80er-Jahre. Doch bereits Mitte der 70er-Jahre begann die Ausbreitung über den gesamten nordamerikanischen Kontinent. Die amerikanische Virusvariante stammt aus der Karibik, wo sie sich bereits Ende der 60er-Jahre etablieren konnte.

Wie „tickt“ das HI-Virus?

Für seine Vermehrung benötigt das Retrovirus Wirtszellen. Diese müssen auf ihrer Oberfläche den Rezeptor CD34 besitzen. Damit sind die sogenannten CD34-tragenden T-Helferzellen das Haupt-Reservoir der Viren. Aber auch andere Immunzellen wie Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen besitzen diesen speziellen Rezeptor.

HIV dringt über den CD34-Rezeptor in die T-Helferzellen ein und macht sie zu „Zombie-Zellen“. Vor dem Immunsystem gut versteckt, beginnt die Produktion neuer Viren.

Das Virus dringt über den Rezeptor in die Zellen ein und baut sein HIV-Genom in die Wirtszelle ein. Ist dieser Schritt erfolgt, sprechen Experten von Proviren. Die Wirtszelle ist nun eine Art Zombie. Durch sie ist das Virus außerdem vor dem Immunsystem geschützt. Dieses kann die fremdgesteuerten Zellen nicht mehr an den HLA-Merkmalen erkennen, weil das Virus nun in den eigenen Körperzellen sitzt. Das Hinterhältige am HIV ist: Werden die Immunzellen aktiviert, weil sie gegen eine Infektion vorgehen sollen, können sie ihrer eigentlichen Aufgabe nicht nachgehen. Stattdessen fangen die befallen Zellen mit der Produktion von Virusproteinen an und setzen neue Viren frei. Diese wiederum infizieren andere Zellen – ein perfektes Schneeballsystem.

Unbehandelt verläuft die HIV-Infektion in mehreren Stadien. Circa drei bis sechs Wochen nach der Infektion treten die ersten Symptome auf. Anfangs ähneln diese denen einer Grippe mit Fieber, Nachtschweiß, Abgeschlagenheit und Gelenkschmerzen. Diese erste akute Phase dauert selten länger als vier Wochen. Danach folgt eine Latenzphase, bei der kaum gravierende Probleme auftreten. Diese Phase kann durchaus mehrere Jahre anhalten. Doch im Körper werden beständig Helferzellen zerstört und damit das Immunsystem geschwächt. Im Mittel hat sich nach neun bis elf Jahren ein schwerer Immundefekt ausgebildet, in dessen Folge der Patient immer wieder mit heftigen Infektionen durch Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten zu kämpfen hat.

Der erste Erfolg: Der Berliner Patient

Bislang ist es nur einmal gelungen, einen Patienten nachweislich dauerhaft von AIDS beziehungsweise der HIV-Infektion zu heilen. 2007 wurde in Berlin Medizingeschichte geschrieben. Timothy Ray Brown, ein in Berlin lebender US-Amerikaner, erhielt 1995 die HIV-Diagnose. Daraufhin startete bei ihm die antiretrovirale Therapie. Außerdem wurde bei Brown auch Leukämie diagnostiziert. Da bei ihm die Chemotherapie nicht anschlug, suchte das Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin-Steglitz (heute zur Charité gehörend) nach einem passenden Stammzellspender. Die Idee der Ärzte war es, das aus den Fugen geratene blutbildende System des Patienten komplett zu zerstören und anschließend durch eine Stammzellentransplantation neu aufzubauen.

Bei Brown suchten die Mediziner allerdings nicht nur nach einem Stammzellspender mit ähnlichen HLA-Merkmalen. Er sollte auch eine bestimmte Veränderung im CCR5-Gen aufweisen. Diese Mutation macht immun gegen HIV, denn dem Virus wird der Zutritt verweigert. Es kann damit keine Wirtszellen befallen und für seine Zwecke missbrauchen. Leider trägt aber nur rund ein Prozent aller Europäer diese Mutation in sich. Doch im Fall von Brown wurden die Mediziner fündig.

Seit Abschluss der Leukämie-Therapie und dank geglückter Stammzellentransplantation sind im Blut des „Berliner Patienten“, wie die Presse den Fall taufte, keine HI-Viren mehr nachweisbar. Er konnte die HAART-Therapie absetzen. Sein Blut blieb seitdem virenfrei. Damit gilt Brown, der mittlerweile in die USA zurückgekehrt ist, als einziger von HIV/AIDS geheilter Patient weltweit. Der Ansatz ist in den folgenden Jahren in mehreren Fällen wiederholt worden, allerdings gab es hier eine Reihe von Komplikationen, die bislang einen weiteren Erfolg immer wieder verhinderten.

Hoffnung auf Heilung: Gen-Schere in Stammzellen einschleusen

Die Stammzellentherapie birgt jedoch grundsätzlich Ansätze für die Therapie von AIDS. So vermeldeten kürzlich Wissenschaftler der TU Dresden und des in Hamburg ansässigen Heinrich-Pette-Instituts einen Durchbruch im Kampf gegen HIV. Ihnen ist es gelungen, in die gefährdeten Zellen eine Art Schere einzubauen. Die Idee lässt sich verkürzt wie folgt erklären: Die Wissenschaftler verändern dafür ein Enzym, das bestimmte Erbgut-Abschnitte erkennt und genau davor und danach einen Schnitt macht. Das sich dazwischen befindliche Stück DNA ist damit herausgetrennt. Die Enden der DNA werden zum Schluss wieder ordnungsgemäß zusammengefügt. Das Verfahren bezeichnen Experten als Rekombinase. Das Revolutionäre daran ist, dass das hergestellte Enzym einen großen Anteil des Erbguts des HI-Virus erwischt, ohne an anderen Orten Schaden anzurichten.

Im nächsten Schritt entnehmen die Forscher dem Patienten einen Teil der eigenen Blutstammzellen. In ihr Genom wird der Bauplan für die Schere eingeschleust. Die Stammzellen differenzieren sich zu bestimmten Zelltypen des Immunsystems, beispielsweise den T-Helferzellen, aus. Wird nun eine solche Zelle vom HI-Virus befallen, so wird das modifizierte Enzym aktiv und schneidet das Erbgut der Proviren wieder aus dem Genom der Wirtszelle heraus. Die Infektion wäre damit ausgemerzt.

Zwei Ansätze müssen nun in Studien ihren langfristigen Erfolg und ihre Sicherheit beweisen. Auf der einen Seite die Gen-Schere, die bei infizierten Zellen das Virus-Genom herausschneidet. Auf der anderen Seite der Gen-Radiergummi, der dem Virus den Zutritt zu den Wirtszellen versperrt.

Obwohl die Begeisterung über die neue Chance im Kampf gegen AIDS überwiegt, gibt es auch kritische Stimmen. Die einen sagen, es sei zu teuer, da die Herstellung der benötigten Gen-Fähren sehr kostenintensiv ist. Die anderen sagen, es wäre der falsche Ansatz, da die Schere nämlich erst eingreift, wenn die Zellen infiziert sind. Sie kann eine Neuinfektion nicht verhindern. Auch kann eine Zelle theoretisch mehrfach befallen werden. Was ein wiederholter Einsatz der Rekombinase für eine Zelle bedeutet, kann derzeit niemand verlässlich sagen. Außerdem gibt es aktuell nur ein sehr enges Zeitfenster, indem die Stammzellen entnommen, kultiviert, verändert und retransplantiert werden müssten. Sonst klappt das erfolgreiche Anwachsen im Knochenmark nicht mehr. Im Labor gelingt es im Moment nur bei circa einem Fünftel der blutbildenden Stammzellen, das für die Rekombinase erforderliche Enzym erfolgreich einzupflanzen. Ein Großteil der ausdifferenzierten T-Zellen bleibt damit weiterhin anfällig für HIV.

Daher verfolgen andere Forschergruppen einen zweiten Ansatz. Sie wollen die Pforte für AIDS verschließen. Dafür müssen sie das CCR5-Gen manipulieren. Mit Hilfe einer Art molekularem Radiergummi wird die Geninformation aus dem Erbgut der blutbildenden Stammzellen gelöscht. Das Verfahren wird „Talen“ genannt. Das HI-Virus findet dann keinen geeigneten Rezeptor mehr und kann die Wirtszellen nicht „kapern“.

Klinische Studien werden nun zeigen müssen, welcher Ansatz langfristig erfolgreich und vor allem sicher ist. Das „Genome Editing“ in Zusammenspiel mit der Stammzellentherapie hat jedoch das Potenzial, die Medizin zu revolutionieren.

Das Vita 34-Engagement

Vita 34 wird die Entwicklungen auf dem Gebiet der HIV-Behandlung natürlich weiter intensiv beobachten. Gemeinsam mit renommierten Forschungseinrichtungen engagiert sich unsere eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung in der Grundlagen- und Anwendungsforschung, um neue Möglichkeiten für die Stammzellentherapie zu untersuchen. Können wir Studien mit unserem Know-how und unserer Erfahrung unterstützen, so werden wir dies selbstverständlich auch weiterhin tun. In der Zwischenzeit ruhen die bei uns eingelagerten 145.000 Stammzellpräparate sicher im Kälteschlaf. Sie stehen dem jeweiligen Kind oder (mittlerweile) Erwachsenen für Therapien jederzeit zur Verfügung und sind dank ihrer besonderen Eigenschaften für den medizinischen Einsatz prädestiniert.