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Ursprung der Stammzellen: Von WUSCHEL und WOX2

Forscher der Universität Freiburg gingen kürzlich einer alles entscheidenden Frage nach, nämlich: Welcher Mechanismus verhindert bei Stammzellen, dass sich die „Alleskönner-Zellen“ zu ganz normalen, somatischen Körperzellen entwickeln? Als Untersuchungsobjekt wählten die Freiburger Wissenschaftler weder Mensch noch Tier, sondern eine „Embryophyta“ – wie Experten die Gattung der Pflanzen bezeichnen. Sie untersuchten für ihre Studie die Prozesse bei der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) – im Volksmund auch unter dem Namen „Gänserauke“ oder „Schotenkresse“ bekannt. Doch warum ergibt es Sinn, die Stammzellfunktion bei Pflanzen überhaupt zu erforschen?

Im Gegensatz zu Tieren sind Pflanzen ein Leben lang in der Lage, komplette neue Organe zu bilden. Im Fall von Bäumen kann ein Leben durchaus mehrere tausend Jahre bedeuten, wie eine Amerikanische Zitterpappel in Utah beweist. Ihr weitverzweigtes Wurzelwerk erstreckt sich über 43 Hektar und hat rund 47.000 Baumstämme hervorgebracht. Die Baumgruppe wird von Fachleuten auf ein Alter von 80.000 Jahren geschätzt und gilt damit als älteste Pflanze der Welt.

Die Forschung an Pflanzenstammzellen hilft somit durchaus, zentrale Probleme in der Medizin, aber auch in der Pflanzenzüchtung zu lösen. Die Freiburger Wissenschaftler sind dem Ursprung des Lebens auf der Spur, denn ohne Stammzellen gäbe es weder Mensch noch Tier oder Pflanze. Schließlich sind die Wunderzellen die Bausteine des Lebens.

 

Pflanzliche Stammzellen befinden sich sowohl in den Sprossspitzen als auch in den Wurzelspitzen. Es handelt sich um undifferenzierte Zellen, die auf Teilung programmiert sind. So ist es möglich, dass manche Baumarten wie die Mammutbäume (Sequoia) bis zu 100 Meter hochwachsen können.

Das pflanzliche Meristem hat Stammzell-Eigenschaften

Im lebenden Organismus können sich pluripotente Stammzellen in jeden beliebigen Zelltyp ausdifferenzieren – so weit so bekannt. Beim Menschen existieren pluripotente Stammzellen jedoch nur während der Embryonalgenese. In dieser Phase werden die Organe wie Herz, Leber, Gehirn oder Haut angelegt. Auch Pflanzen besitzen Stammzellen. Sie verfügen über das sogenannte Meristem, das Bildungsgewebe. Es sorgt dafür, dass sich aus einem kleinen Pflanzenstück eine komplette Pflanze mit Wurzeln, Stängeln, Blättern und Blüten entwickeln kann. Dieser Mechanismus ist seit Jahrhunderten bekannt und wird auch vom modernen Gartenbau genutzt. Viele Züchter vermehren ihre Pflanzen über Stecklinge oder Ableger.

Wissenschaftler weltweit wollen ergründen, was pflanzliche Stammzellen von humanen oder tierischen Stammzellen unterscheidet. Vergleichsweise viel wissen Forscher über die Funktion von Stammzellen bei der Reparatur und Regeneration von Geweben. Auch die Prozesse beim Wachstum sind bereits gut verstanden. Jedoch ist über das Zusammenspiel von Stammzellen beim Ursprung des Lebens, also der Embryonalentwicklung, so gut wie nichts bekannt. Wie können aus der befruchteten Eizelle, der Zygote und damit der Urstammzelle, überhaupt die unterschiedlichen Stammzellenarten wie hämatopoetische Stammzellen, mesenchymale Stammzellen oder neuronale Stammzellen entstehen?

 

Dank WOX2 bleiben bei Pflanzen Stammzellen Stammzellen

Die Forscher nutzen als Modelpflanze die Acker-Schmalwand, die zu den Kreuzblütlern gehört und in Eurasien weit verbreitet ist. In ihrer Modellpflanze konnten die Wissenschaftler bereits vor Jahren den Transkriptionsfaktor WUSCHEL identifizieren. WUSCHEL zeichnet sich verantwortlich für die Erneuerung der Stammzellen. Über das WUSCHEL-Protein verfügt bereits der Embryo, wenn die Bildung der Stammzellen startet. Damit Stammzellen jedoch überhaupt entstehen können, bedarf es eines anderen Transkriptionsfaktors: WOX2. Er ist eng mit WUSCHEL verwandt.

Bislang war bekannt, dass WOX2 als Protein früh die Schritte bei der Musterbildung des Embryos übernimmt. Der Transkriptionsfaktor sorgt demnach für die Anlage bestimmter Strukturen im Embryo. Gleichzeitig verhindert WOX2 in jenen Regionen, wo sich Stammzellen entwickeln, die Weiterentwicklung der dortigen Zellen in spezialisierte Zelltypen. Somit können diese Zellen auch nicht ihr unbegrenztes Differenzierungspotenzial verlieren.

 

Ähnliche Strategien bei der Entstehung von Stammzellen bei Pflanzen und Tieren

Die Natur setzt bei Pflanzen und Tieren auf ähnliche Strategien bei der Entstehung von Stammzellen. Die Freiburger Forscher konnten nachweisen, dass WOX2 beim Acker-Schmalwand die Balance der Pflanzenhormone Zytokinin und Auxin reguliert. WOX2 sorgt dafür, dass sich viel Zytokinin und wenig Auxin in den Vorläuferzellen ansammelt.

Pflanzenzüchter nutzen exakt diesen Mechanismus seit Jahren, um aus einer Wurzel oder einem Blatt eine komplette, neue Pflanze in sogenannten Gewebekulturen wachsen zu lassen. Der Mensch bildet letztlich nur jenen Prozess nach, den Mutter Natur und die Evolution schon vor langer, langer Zeit entdeckten. Der Ursprung des Lebens und damit auch der Ursprung der Stammzellen als Bausteine des Lebens hängt also vom Protein und Transkriptionsfaktor WOX2 ab.

 

Von Pflanzen lernen, heißt für die Medizin lernen

Von der Natur hat sich der Mensch bereits viel abgeschaut: Die Form der Tragflächen von Flugzeugen ist an die Flügel der Vögel angelehnt. Moderne Architektur, die filigrane Konstruktionen ermöglicht, schaut sich ihre Statik bei Pflanzen ab. Der Klettverschluss ahmt die Hafteigenschaften der Klette nach … Bionik und Bioengineering heißen die Zauberworte. So interessiert es die Experten beispielsweise brennend, wie es Pflanzenzellen im Hochgebirge schaffen, die eisigen Winter und großen Temperaturunterschiede am Tag ohne Schäden zu überstehen. Alpenrose, Arnika, Enzian oder der Alpen-Mannsschild und das Leimkraut haben Überlebensstrategien entwickelt, um im Sommer wieder wachsen und blühen zu können. Sie produzieren natürliche Frostschutzmittel, die aus verschiedenen Zuckerarten und Alkoholen bestehen. In Zukunft könnten die Frostschutzmittel in pflanzlichen Zellen auch menschliche Zellen davor bewahren, dass sich während der Kryokonservierung Eiskristalle in den Zellen und Zellzwischenräumen bilden und es zu Schäden an der Zellsubstanz kommt. Bislang kommt bei Vita 34 beim Einfrieren von Nabelschnurblut und Nabelschnurgewebe Dimethylsulfoxid (DMSO) zum Einsatz. Langfristig könnte die Chemikalie jedoch durch natürliche Frostschutzproteine ersetzt werden. Die spezialisierten Hochgebirgspflanzen machen es schließlich vor.