Science

Perspektiven für die regenerative Medizin

Schon im Mutterleib sind manche Kinder äußerst bewegungs­freudig und verändern gerne ihre Lage. Dass die Nabelschnur bei diesen Positionswechseln nicht knickt oder sich verknotet, das verdankt sie einer bindegewebsartigen Substanz in ihrem Inneren: Wharton’s Jelly (deutsch: Whartons Sulze), wie diese Substanz von den Medizinern genannt wird, stabilisiert die durch die Nabelschnur führenden Blutgefäße und gewährleistet so die Versorgung des Kindes mit Nährstoffen und Sauerstoff.

Eine andere, eher unbekannte Schutzfunktion von Wharton’s Jelly kann jedoch auch noch nach der Geburt wertvolle Dienste leisten. Das Nabelschnurgewebe enthält nämlich eine hohe An­zahl mesenchymaler Stammzellen (MSCs), die besonders in­ter­essant für die regenerative Medizin sind.

Die Gewebesubstanz, die noch immer nach der Geburt meist ungenutzt entsorgt wird, bietet neben der reichen Ausbeute noch weitere Vorteile. Einerseits liefert sie für eine fachge­rechte, auch langfristige Einlagerung junge, in der Regel unbe­lastete Stammzellen, deren Entnahme ethisch unbedenklich ist und weder Mutter noch Kind Schmerzen bereitet. Zum anderen zeichnen sich diese Zellen aus der Nabelschnur durch ein be­sonders schnelles Wachstum aus. Im Vergleich zu anderen Zellen benötigen sie deshalb weniger Zeit, bis die ausreichende Menge für medizinische Anwendungen herangewachsen ist.

Die potenziellen Therapiebereiche der MSCs umfassen bei­spielsweise Knorpeldefekte, eine verbesserte Heilung von Hautwunden oder die Regeneration von Knochengewebe so­wie von Knorpelgewebe in der Luftröhre. Auch als Grundlage zur Vermehrung von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut können sie genutzt werden. Bevor dies alles tatsächlich flä­chendeckend in der medizinischen Praxis zum Einsatz kom­mt, ist allerdings noch viel Forschungsarbeit erforder­lich. Diese Studien sind streng reguliert durch die zuständigen Zulas­sungsbehörden, die grundsätzlich an Stammzellfor­schung hohe ethische Maßstäbe anlegen. Bevor eine Anwen­dung am Menschen in Rahmen klinischer Studien in Betracht kommt, werden stets detaillierte und gesicherte Erkenntnisse über das Verhalten der Zellen, das Ausmaß der Effekte auf den Organis­mus und die Reproduzierbarkeit  der gewünschten Wir­kung verlangt.

Innerhalb dieser Vorgaben und Sicherheitsnormen hat es aber durchaus schon Studien mit vielversprechenden Resultaten ge­geben. So führte bei einer Autismus-Studie mit Kindern die Er­gänzung einer Nabelschnurblut-Transplantation durch MSCs aus dem Nabelschnurgewebe zu einem stärkeren therapeuti­schen Effekt. Bei Herzfehlern stellten sich ebenfalls Sicherheit und Wirksamkeit von MSC-Injektionen heraus. Und nach einer Studie mit 26 Frauen, die durch Verwachsungen in der Gebär­mutter unfruchtbar geworden waren und im Rahmen einer Ope­ration mit MSCs behandelt wurden, konnten zehn der Frauen wieder schwanger werden. Zu den Krankheiten und Beschwer­den, deren Therapieoptionen mit MSCs in derzeit laufenden Studien untersucht werden, gehören z. B. Stoffwechselstörun­gen, akutes Atemnotsyndrom, Osteoarthritis im Knie, Zerebral­parese (Hirnschädigung) oder systemischer Lupus erythemato­des (eine Autoimmunerkrankung).

Auch wenn die Ergebnisse dieser Studien erst noch abgewartet werden müssen, zeigen sich allein anhand der thematischen Vielfalt die breiten Einsatzmöglichkeiten mesenchymaler Stammzellen. Es bleibt also abzuwarten, aus welchen Erkennt­nissen der umfangreichen Grundlagenforschung und der aktu­ellen anwendungsorientierten Untersuchungen die Mediziner zukünftig neue Behandlungsmöglichkeiten entwickeln können.